S 02/14 Belastungsanalyse Glenoidkomponenten

In-vitro Belastungsanalyse zementierter Glenoidkomponenten
an konzentrischen und exzentrischen Schulterpfannen


Dr. med. Boris Sowa und Priv.-Doz. Dr. med. Patric Raiss
Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universität Heidelberg, Deutschland
(Laufzeit 07/14 - 10/16)

Abstract

Einleitung
Die aseptische Lockerung der Glenoidkomponente ist eine der wichtigsten Langzeitkomplikationen in der totalen Schulterendoprothetik. Als Einflussfaktor wird hier u.a. die Präparation des glenoidalen Knochenlagers vor Implantation der künstlichen Schulterpfanne diskutiert. Eine besondere Herausforderung bei der Präparation stellen hierbei exzentrische Pfannentypen und Pfannen mit vermehrter Retroversion dar. Es ist jedoch bekannt, das sowohl ein aggressives Fräsen an der Schulterpfanne, als auch die Implantation der Glenoidkomponente in vermehrter Retroversion zu hohen Lockerungsraten führen kann. Ziel des Projekts ist es die Auswirkung der knöchernen Präparation der Schulterpfanne auf die Implantatstabilität der Glenoidkomponente zu evaluieren, um daraus Verfahrensalgorhythmen für das operative Vorgehen in der Glenoidendoprothetik in Abhängigkeit von der Glenoidmorphologie ableiten zu können:

1. Hypothese: Die Implantation einer Glenoidkomponente ohne Korrektur der Retroversion führt zu einer exzentrischen Belastung der Prothese und in Folge zu einer geringeren Verankerungsstabilität. 2. Hypothese: Ein exzessives Fräsen des subchondralen Knochens reduziert die Verankerungsstabilität der Glenoidkomponente.


Material und Methoden
Zur Erzielung einer möglichst hohen Standardisierbarkeit wurden die Versuche an künstliche Glenoidknochen durchgeführt. Als erfolgte die Auswahl zweier CT Datensätze eines A1 und eines B2 Glenoids nach Walch mit erhöhter Retroversion (15°). Es wurde ein standardisierter Verfahrensalgorhythmus für die Prothesenimplantation entwickelt um eine möglichst hohe Standardisierbarkeit zu gewährleisten. Die Versuche wurden an einer biomechanischen Prüfeinheit mit simuliert-physiologischer Schultergelenkbelastung durchgeführt (Heben und Senken eines 2kg schweren Gewichts) . Über einen Versuchsablauf von 10.00 Zyklen wurden mittels optischer Messsensoren die Mikrobewegungen erfasst. Es wurden insgesamt 5 Untersuchungsgruppen gebildet:

Teil 1 (A1 Glenoid) Gruppe 1: Schonung des subchondralen Knochens und Implantation einer anatomischen Glenoidendoprothese Gruppe 2: Resektion des subchondralen Knochens und Implantation einer anatomischen Glenoidendoprothese

Teil 2 (B2 Glenoid) Gruppe 3: Implantation einer anatomischen Glenoidendoprothese ohne Korrektur der Retroversion Gruppe 4: Implantation einer anatomischen Glenoidendoprothese nach Korrektur der Retroversion Gruppe 5: Implantation einer posterior-augmentierten Glenoidendoprothese ohne Korrektur der Retroversion

Ergebnisse
Teil 1 (A1 Glenoid)
Die Analyse des Anstiegs der Mikrobewegungen im Versuchsverlauf bis hin zu 10.000 Zyklen zeigte eine stetig wachsende Tendenz hinsichtlich mehr Mikrobewegungen in Gruppe 2 im Vergleich zu Gruppe 1. Allerdings wurde bis zum Zeitpunkt von 10.000 Zyklen das Signifikanzniveau nicht erreicht (p>0.05).
Teil 2 (B2 Glenoid)
In 3 Fällen kam es zu Subluxationen des Prothesenkopfs in Bezug auf die Glenoidkomponente. Dieses Phänomen trat dabei ausschließlich in Gruppe 3 und immer zwischen 2.000-4.000 Untersuchungszyklen auf. Es wurde daher eine separate Analyse für alle Untersuchungsgruppen zum Messzeitpunkt von 2.000 Zyklen durchgeführt. Zum Messzeitpunkt von 10.000 Zyklen wurden lediglich die Gruppen 4 und 5 verglichen. Die Ergebnisse der drei Untersuchungsgruppen (3,4,5) wiesen über den gesamten Versuchsablauf eine statistisch signifikante Differenz hinsichtlich der gemessenen Mikrobewegungen in der Interaction Term Analyse auf (p<0.0001).Im gepaarten T- Test (Lmeans) zeigte der Vergleich der Messwerte zum Zeitpunkt 2.000 Zyklen signifikant mehr Messbewegungen in Gruppe 3 im Vergleich zu Gruppe 4 (p<0.0001) und ebenfalls im Vergleich zu Gruppe 5 (p<0.0001). (Abb. 16). Zum Messzeitpunkt von 2.000 Zyklen zeigte sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der gemessenen Mikrobewegungen zwischen Gruppen 4 und 5 (p=0.0783). Im gepaarten T- Test (Lmeans) zeigte der Vergleich der Messwerte zum Zeitpunkt 10.000 Zyklen signifikant mehr Messbewegungen in Gruppe 5 im Vergleich zu Gruppe 4 (p<0.0001).
Schlussfolgerung
Auf Basis der vorliegenden Daten kann die Erste Hypothese bestätigt werden. Eine Prothesenimplantation ohne vorherige Korrektur der Retroversion führte zu signifikant höheren Mikrobewegungen der Glenoidendoprothese in ihrem knöchernen Lager. Zusätzlich war in der Mehrheit der Fälle ohne Retroversionkorrektur (Gruppe 3) eine Subluxation des Prothesenkopfes im Verhältnis zur Glenoidkomponente zu beobachten.Wenn eine Retroversionskorrektur nicht durchgeführt werden kann, so scheint die Implantation einer posterior augmentierten Prothese eine alternative Behandlungsoption zu sein.
Die Zweite Hypothese kann durch die vorliegende Untersuchung gestützt werden, allerdings waren die Ergebnisse in Bezug auf die gemessenen Mikrobewegungen nicht statistisch signifikant (Gruppe 1 vs. 2).
Insgesamt konnte ein Einfluss des Ausmaßes der knöchernen Präparation auf die gemessenenMikrobewegungen über alle Untersuchungsgruppen nachgewiesen werden.